Was sich über Jahre als theoretische Option ankündigte, nimmt 2025 eine konkrete, kapitalkräftige Form an: Führende US-Technologiekonzerne wie Amazon, Google, Meta Platforms und Microsoft treiben den Ausbau der Kernenergie aktiv voran. Dabei handelt es sich nicht um politische Symbolik, sondern um eine strategische Antwort auf den rasant wachsenden Energiebedarf durch künstliche Intelligenz, Cloud-Infrastruktur und datenintensive Anwendungen.
Im März 2025 erklärten Amazon, Google (Alphabet) und Meta, sie unterstützten das Ziel, die weltweite Kernenergiekapazität bis 2050 mindestens zu verdreifachen. Die Selbstverpflichtung wurde unter Führung der World Nuclear Association unterzeichnet und knüpft an eine Erklärung an, die bereits Ende 2023 von mehr als 20 Staaten, darunter die USA, verabschiedet worden war. Auch Finanzhäuser wie Goldman Sachs, Morgan Stanley und Bank of America stellten sich hinter diese Initiative.
Für Investoren entscheidend ist: Die Nachfrage kommt direkt aus der Industrie, nicht aus Förderprogrammen oder politischen Zielkorridoren.
Rechenzentren treiben den Bedarf in neue Dimensionen
Moderne KI-Rechenzentren erreichen heute einen Strombedarf von bis zu 5 Gigawatt pro Standort. Zum Vergleich: Ein klassisches Kernkraftwerk liefert etwa 800 Megawatt kontinuierliche Leistung. Laut einer Deloitte-Analyse (April 2025) könnte Kernenergie bis 2035 rund 10 % des gesamten Strombedarfs von Rechenzentren decken.
Diese Zahl ist aus Kapitalmarktsicht zentral: Sie beschreibt eine langfristige, planbare Nachfragebasis, die über Jahrzehnte Bestand haben dürfte. Genau diese Stabilität fehlt wetterabhängigen Energiequellen.
Amazon setzt Maßstäbe mit 1,9-GW-Langfristvertrag
Ein besonders greifbares Beispiel lieferte Amazon im Juni 2025. Der Konzern schloss mit Talen Energy einen langfristigen Stromabnahmevertrag über 1.920 Megawatt Kernenergie aus dem Susquehanna Nuclear Power Plant in Pennsylvania ab. Die Laufzeit reicht bis 2042 mit Optionen zur Verlängerung. Die Lieferung wird schrittweise hochgefahren und soll spätestens 2032 das volle Volumen erreichen.
Mac McFarland, CEO von Talen Energy, erklärte dazu wörtlich:
„Our agreement with Amazon is designed to provide us with a long-term, steady source of revenue and greater balance sheet flexibility through contracted revenues.“
Flankiert wird der Deal von einem massiven Infrastrukturprogramm. AWS-Manager Kevin Miller sagte:
„That’s why we’re making the largest private sector investment in state history – $20B – to bring 1,250 high-skilled jobs and economic benefits to the state.“
Für Anleger ist diese Kombination aus langfristigem Energievertrag und zweistelligem Milliarden-Capex ein klares Signal für einen mehrjährigen Ausbauzyklus.
SMRs: Amazon skaliert Projekt in Washington auf 960 MW
Noch weiter geht Amazon beim zweiten großen Nuklearprojekt. Im Oktober 2025 kündigte der Konzern an, die Cascade Advanced Energy Facility im Bundesstaat Washington deutlich auszubauen. Statt der ursprünglich geplanten 320 Megawatt soll die Anlage nun auf bis zu 960 Megawatt wachsen.
Geplant sind 12 Small Modular Reactors (SMR) des Typs Xe-100 von X-energy, jeweils mit 80 MW Leistung. Partner auf der Versorgerseite ist Energy Northwest. Die Anlage entsteht nahe der bestehenden Columbia Generating Station bei Richland, Washington. Der Baustart ist für das Ende dieses Jahrzehnts, die Inbetriebnahme für die 2030er Jahre vorgesehen.
Bemerkenswert ist die Finanzierungsstruktur: Amazon beteiligt sich direkt an der Projektfinanzierung, statt sich ausschließlich auf einen klassischen Stromabnahmevertrag zu verlassen. Daniel Gross, Director des Amazon Climate Fund, erklärte dazu:
„A PPA for a solar project or a wind project has, for the last decade, been sufficient to get that project built and financed.“
Implizit heißt das: Bei neuartiger Kerntechnik reichen PPAs oft nicht aus – Eigenkapital von Großabnehmern erhöht die Realisierungschancen erheblich.
Technologischer Wettlauf um Generation-IV-Reaktoren
Der Ausbau der SMRs ist Teil eines globalen Wettbewerbs. China nahm bereits im Dezember 2023 mit Shidao Bay den weltweit ersten kommerziellen Generation-IV-Reaktor in Betrieb. Laut der Information Technology & Innovation Foundation liegt China damit bis zu 15 Jahre vor den USA.
US-Unternehmen versuchen nun aufzuholen. Zu den wichtigsten Akteuren zählen neben X-energy auch TerraPower (unterstützt von Bill Gates), Kairos Power (unterstützt von Google) und Oklo, dessen Management unter anderem frühere Führungskräfte von Apple, Google und Tesla umfasst.
J. Clay Sell, CEO von X-energy, erklärte:
„Over the past year, the support of Amazon has enabled us to accelerate progress on our technology… The scale of this work is historic.“
Kapitalbedarf und Rohstoffdimension
Trotz aller Dynamik bleibt der Ausbau kapitalintensiv. Für die aktuelle SMR-Pipeline von rund 47 Gigawatt werden Investitionen von etwa 300 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Verzögerungen und Kostenrisiken bleiben real.
Gleichzeitig rückt ein weiterer Faktor in den Fokus: der langfristige Bedarf an nuklearem Brennstoff. Der geplante Kapazitätsausbau impliziert steigende Uran-Nachfrage über Jahrzehnte, die nur teilweise aus bestehenden Minen gedeckt werden kann. Damit erweitert sich der Investitionsblick zwangsläufig auf die vorgelagerten Rohstoffmärkte.
Ein struktureller Investitionszyklus entsteht
Für Anleger ergibt sich damit ein belastbares Gesamtbild:
– Amazon, Google, Meta und Microsoft sichern sich aktiv Kernenergie
– langfristige Verträge über 1,9 GW und mehr schaffen Cashflow-Sichtbarkeit
– SMRs werden durch direkte Finanzierung realisierbarer
– politischer Rückenwind reduziert regulatorische Risiken
– der Brennstoffbedarf steigt strukturell
Kernenergie entwickelt sich damit vom Randthema zur strategischen Säule der digitalen Infrastruktur.




